Aletschgebiet: Geologie, Eis und Wasser

Autor/in: 
Hugo Raetzo

 

«Die Greina – neue Dimension im Umweltschutz» titelte eine Schweizer Tageszeitung 1995. In seinen geologischen und glazialen Dimensionen erreicht das Aletschgebiet jenseits des Gotthards ebenfalls außerordentliche Werte und einzigartige Schönheit. Nördlich der Rhone erhebt sich majestätisch das zentrale Aarmassiv. Dieses harte Urgestein wird zu einem großen Teil von Eis und Schnee bedeckt. Kein Wunder, wenn 30000 ha des geschützten Aletschgebietes oberhalb von 2700 mü.M. liegen. Mit dem größten Alpengletscher sowie der prominenten Randkette Eiger, Mönch und Jungfrau ist das Aletschgebiet im UNESCO-Inventar als Weltnaturerbe registriert und erhält damit eine herausragende Bedeutung.

Den Grundstein zur hochalpinen Landschaft legen zwei besonders harte Gesteine, der quarzreiche Aaregranit und ein kristalliner Amphibolit. Der höchste Gipfel des Aletschgebietes, das 4274m hohe Finsteraarhorn, ist aus diesem verwitterungsresistenten grünen Amphibolitgestein gebaut, das wohl vor Jahrmilliarden als ozeanischer Basalt entstand. Da die Kontinentalkollision immer noch anhält, werden die Alpen weiterhin gestaucht. Eine andauernde Anhebung des Aarmassivs ist deshalb möglich. Dank dem harten Amphibolit ist es denkbar, daß die Erosion der Hebung am Finsteraarhorn hinterherhinkt und der Gipfel dadurch höher wird. Der ebenfalls harte Aaregranit bildet den grössten Granitkörper der Schweiz und erstreckt sich über 500km2.
Weniger verwitterungsresistent sind hingegen die altkristallinen Gneise und Glimmerschiefer. Sie wurden vor 400–450 Millionen Jahren während der kaledonischen Gebirgsbildung durch hohen Druck und Wärme metamorph überprägt. Deshalb sind diese hell glänzenden Glimmerminerale als Muskovitschichten entstanden. Es glänzen aber nicht nur die mineralischen Elemente dieser Formationen, sondern auch die daraus erbauten Berge Jungfrau, Mönch und Aletschhorn, das einen Granitunterbau aufweist.
Im Mesozoikum, das vor 250 Millionen Jahren begann und mit dem Sauriersterben vor 65 Millionen Jahren endete, lag das Aarmassiv unter einem tropischen Meer. Die kalkigen Meeressedimente bildeten einst kilometermächtige fossilhaltige Schichten, die über dem kristallinen Zentralmassiv lagen. In der alpinen Gebirgsbildung wurden die mesozoischen Kalkformationen weit nach Norden gedrängt und fortlaufend abgetragen. Davon verbleiben am Rand des Aletschgebietes nur noch die steilen Flanken von Eiger und Wetterhorn.
Das emporgehobene Aarmassiv ist aufgrund der Höhenlage zu einem großen Teil von Gletschern bedeckt. Der Aletschgletscher, der längste der Alpen, ist heute 24 km lang. Am Ende der kleinen Eiszeit 1870 war er 2,5 km länger. Die Fläche von 125 km2 schrumpft ebenso wie das Volumen des Gletschers, weil das Klima wärmer wird. Beim Konkordiaplatz schwindet die Eismächtigkeit in letzter Zeit um zirka einen Meter pro Jahr! Heisse Jahre, wie dasjenige von 2003, bedrohen selbst hoch gelegene Gletscher und bringen diese zum Schmelzen. Trotz der Klimaerwärmung werden wir noch eine Weile Eismassen am Konkordiaplatz vorfinden, denn die totale Mächtigkeit des Aletschgletschers wird dort auf 900 m geschätzt.
Das Schmelzwasser rauscht durch die enge Massaschlucht ins Rhonetal. Die Abflüsse schwanken extrem, entsprechend der Jahreszeit, zwischen 0,1 m3 pro Sekunde im Februar und 125 m3 pro Sekunde im Juli (Angaben aus dem Jahr 2003). Die Entwässerung des Aletschgebietes ist manchmal problematisch, weil der Märjelensee am Rand des Gletschers während der Schmelze hoch ansteigen kann. Im 19. Jahrhundert brach der See mindestens 31 Mal aus und überflutete das Gletschervorfeld und teilweise Gebiete unterhalb der Massaschlucht. Noch 1994 kam es zu einer raschen Seespiegelabsenkung. Ein Seeausbruch könnte den Weiler Oberaletsch, die Massaschlucht bis Gebidum und den Weg zur Konkordiahütte gefährden.
Das Schmelzwasser, die Seeausbrüche, die «unendlichen» Eiszungen und die harten Gesteine bilden zusammen eine Landschaft, die nun zu Recht zum UNESCO-Weltnaturerbe gezählt wird.

 

Quelle: Buch „La Greina und Flusslandschaften im Wallis“, Schweizerische Greina-Stiftung (SGS), Verlag Bündner Monatsblatt / Desertina AG, Chur, 2004