Dank
Willkommen im Aletschgebiet, dem seit 2001 ersten UNESCO-Weltnaturerbe der Alpen «Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn», willkommen auf der Greina-Ebene, in der Val Frisal, im Baltschiedertal, Bietsch- und Jolital, Binntal, Gredetschtal, Laggintal, Oberaletsch. All diese Landschaften in den Kantonen Graubünden und Wallis mit Teilen der Tessiner und Berner Alpen werden für 40 Jahre unter Schutz gestellt. Die 2. Auflage dieses Buches durfte die Schweizerische Greina-Stiftung (SGS) zur Erhaltung der alpinen Fließgewässer zusammen mit den Bündner Gemeinden Sumvitg und Vrin publizieren. Nach der Unterschutzstellung der Greina-Hochebene 1995 (28km2) kommen nun 242km2 zusätzliche alpine Fließgewässer-Landschaften in den Schweizer Alpen neu dazu. Die folgenden Gemeinden, zusammen mit den Kantonen Graubünden und Wallis, unterstützen und ermöglichen diese Publikation: Gemeinde Binn/VS, Birgisch/VS, Breil/Brigels/GR, Gondo-Zwischbergen/VS, Mörel/VS, Mund/VS, Naters/VS, Simplon Dorf/VS, Sumvitg/GR und Vrin/GR*. Diesen Gemeinden, dem Kanton Graubünden, dem Kanton Wallis, dem Bundesamt für Wasser und Geologie BWG, der Mava Stiftung für Naturschutz, Coop Basel sowie der Frau Betty und Dr. Rudolf Gasser Stiftung und der Stiftung Jacques Bischofberger danken wir für die Unterstützung dieser 3. erweiterten Auflage herzlich. Sie haben entscheidend dazu beigetragen, daß der Bildband, welcher 1996 als eines der schönsten Schweizer Bücher ausgezeichnet wurde, nun als erweiterte 3. Auflage produziert werden konnte. Herbert Maeder, Fotograf und Mitautor aller drei Auflagen, danken wir für seine Bilder und Textbeiträge.
Die Greina ist überall
«Ohne jährliche Beiträge aus dem Finanzausgleichfonds war die Gemeinde bisher – trotz Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Einnahmequellen und Erhebung höchst zulässiger Steuern und Abgaben – nicht in der Lage, den ordentlichen Finanzhaushalt im Gleichgewicht zu halten.» Diese Feststellung des Vriner Gemeindepräsidenten Gion Caminada (S. 5) gilt nicht nur für seine Gemeinde. Alle Textbeiträge beziehen sich auf die allgemeine Situation im Berggebiet am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Zu Recht fragt die ehemalige Bundesrätin und Umweltministerin Ruth Dreifuss auf S. XXXIII kritisch: «Hatten die betroffenen [...] Gemeinden Sumvitg und Vrin nicht auch voller Hoffnung den Ausbauprojekten von 1957 zugestimmt und in der Folge die Wasserrechtskonzessionen verlängert? Hatten sie nicht berechtigte Erwartungen auf zusätzliche Einnahmen für Alpsanierungen, Aufforstungen, Lawinenverbauungen, Abwasser- und Gemeindekanalisationen, Schulhäuser und weitere dringend benötigte Investitionen für Infrastrukturbauten?» Diese Erwartungen dürfen bestimmt auch auf die meisten der 15 Berggemeinden zutreffen, die nun in den Genuß des Landschaftsrappens kommen. Es geht einerseits um die Erhaltung unserer Umwelt, andererseits um die betroffenen Menschen im Berggebiet. Die SGS verfolgte stets beide Ziele parallel: Natur- und Umweltschutz einerseits und die Beachtung der sozialen und ökonomischen Anliegen der betroffenen Bevölkerung andererseits.
Eine liberale und solidarische Lösung für das Berggebiet
Auf Seite 103 des Buches bringt der Staatsrechtler und ehemalige Ständerat Prof. Dr. René Rhinow die Kernfrage der Ausgleichsleistungen auf den Punkt: Es wird nicht, wie Kritiker der Ausgleichsleistungen stets behaupteten, «ein Verzicht entschädigt. Es wird ein positives Tun entschädigt, nämlich der Schutz einer Landschaft im nationalen Interesse. [...] Es geht darum, daß es abgegolten werden kann, wenn Gemeinden sich verpflichten, Landschaften auf Dauer unter Schutz zu stellen… Es geht letztlich um dasselbe wie bei den hoheitlichen Eingriffen, wo aufgrund der materiellen Enteignung Entschädigungsleistungen bezahlt werden. Hier geht es [...] um die Vereinbarung zwischen dem Bund und dem Gemeinwesen. Aber das Geld, die Abgeltung, hat die gleiche Funktion, nämlich für den Empfänger einen Ausgleich zu schaffen. Nur, daß es sich hier um den liberalen Weg handelt, um die Lösung, mit Anreizen zu arbeiten und hierfür zu entschädigen, und nicht darum, hoheitliche Zwangsmaßnahmen aufzuerlegen.» In diesem Sinn bestätigen auch die Gemeinden: «Mit der heutigen Regelung der verfassungsmäßig begründeten und bundesrechtlich verankerten Ausgleichsleistungen ist nun im Rahmen des geltenden Rechts die Chance für die Gemeinden Vrin und Sumvitg gekommen, selbst die Entscheidungen zu treffen und neue Visionen für das 21. Jahrhundert umzusetzen.» (S. 11) Anstelle und ergänzend zum – zur Zeit seiner Entstehung – pionierhaften «Nationalparkgedanken» mit der praktisch uneingeschränkten Erhaltung eines klar ausgeschiedenen Naturschutzgebietes sollen in Zukunft nachhaltiges und umweltverträgliches Leben und Wirtschaften sowie Erholung für Einheimische und Gäste in einer grenzüberschreitenden Landschaft, in einer ganzen Region, im ganzen Land ermöglicht werden (S. 11).
Eine neue Dimension im Umweltschutz
Die Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung gelten nun für alle unter Schutz gestellten Gebiete von der Greina bis zum Aletschgebiet. Im Gegensatz zum 1914 gegründeten, von Parkwächtern beaufsichtigten Nationalpark mit einer Fläche von 172,4km2, sehen die nun insgesamt unter Schutz gestellten Gebiete von 269,74km2 – mit Val de Rechy* 300 km2– keine vergleichbaren Aufgaben vor. Vielmehr regeln die öffentlich-rechtlichen Verträge, welche mit diesen Gemeinden abgeschlossen wurden, eine nachhaltige Entwicklung im öffentlichen Interesse. Diese ermöglicht nicht zuletzt dank den Ausgleichsleistungen eine bessere Existenz für die lokale Bevölkerung. In diesem Sinn geht der visionäre Titel der NZZ von 1995 mit der «neuen Dimension im Umweltschutz» wohl weiter als ursprünglich angenommen. Die 18 alpinen Gemeinden (drei Gemeinden* in Abklärung, vgl. S. XIII) sind nun die Garanten für die Erhaltung dieser einmaligen Landschaften, wie Bundesrätin Ruth Dreifuss 1997 erklärte. Und so kommen wir von der pionierhaften Nationalparkidee eines streng abgegrenzten Naturschutzgebietes im 20. Jahrhundert «zu einem integralen Umweltschutz für das 21. Jahrhundert, welcher alle Lebens- und Gesellschaftsbereiche und alle Wirtschaftssektoren nachhaltig miteinbezieht» (S. XXXVI).
Ausgleichsleistungen, internationale Anerkennung im UNO-Jahr der Berge
An der Abschlußkonferenz des UNO-Jahrs der Berge vom 29.10. bis 1.11.2002 in Bishkek, Kirgisien, durfte die Schweiz für ihre Ausgleichslösung, mit der die «Abgeltung von Ressourcennutzung (Wasserrechte) geregelt wurde», viel Lob entgegennehmen (vgl. Tages-Anzeiger, 31.10.02). Neue Ideen durchleben drei Phasen, wie schon der Philosoph Arthur Schopenhauer feststellte: Zuerst werden sie belächelt, dann bekämpft und schliesslich gelten sie als selbstverständlich. Pater Dr. Flurin Maissen führte diesen Gedanken weiter: «Zu guter Letzt war es dann gar nicht deine, sondern von Anfang an meine Idee.» Sämtliche Beiträge in diesem Werk zeigen, wie verschiedene Persönlichkeiten, Organisationen und Institutionen von dieser Ausgleichsidee beseelt und überzeugt waren und dafür während 10 Jahren unermüdlich gekämpft haben. Waren es ab 1980 vor allem die Bündner Gemeinden zusammen mit der SGS, welche sich für diese Idee engagierten, so war es ab 1995 im Kanton Wallis die Regierung mit Staatsrat Wilhelm Schnyder als Finanzdirektor an der Spitze und mit Nationalrat/ Staatsrat Peter Bodenmann, welche aktive Unterstützung für die Finanzierungslösung über den sog. «Landschaftsrappen» leistete. Die Idee der Ausgleichsleistungen wäre kaum umsetzbar gewesen ohne die rechtlich überzeugende Begründung durch die Rechtsgutachten der Staatsrechtler Prof. René Rhinow, Prof. Alfred Kölz, Prof. Jörg Paul Müller und weitere Rechtsprofessor/innen, die eine Mehrheit im Nationalrat und eine starke Minderheit im Ständerat überzeugten.
Die Zentren benötigen reine Luft und sauberes Wasser
Diese neue Dimension im Umweltschutz zeigt aber auch etwas anderes auf: Im industriellen und postindustriellen Zeitalter der Arbeits- und Raumaufteilung sehen wir einerseits stark belastete und wirtschaftlich hoch ertragsreiche Gebiete. Andererseits gibt es in den Bergregionen immer weniger Arbeitsplätze. Die Verdienstmöglichkeiten – und damit auch die Bevölkerung – in den Bergregionen schrumpfen. Die wirtschaftlich hoch effizienten Produktivgebiete können aber allein nicht existieren. Sie benötigen Sauerstoff und Ressourcen, unvergifteten Boden und sauberes Wasser. Die Quellen dieser sauberen Ressourcen liegen in den Alpen. Sowenig wie jemand eine Mietwohnung gratis bewohnen oder sich ein geliehenes Auto unentgeltlich aneignen kann, sowenig dürfen die Ressourcen aus den Bergen unentgeltlich konsumiert werden. Die Idee des Ausgleichs von Schutz und Nutzen gilt nicht nur im Berggebiet zwischen Umweltschutz einerseits und den betroffenen Gemeinden andererseits. Ein fairer und nachhaltiger Ausgleich muss grenzüberschreitend, national und international stattfinden. Wer Ressourcen nutzt, verpflichtet sich im Eigeninteresse auch für den Schutz mit nachhaltigem Ausgleich – um eine langfristige Nutzung auch kommenden Generationen zu ermöglichen. Nur so ist eine «gemeinsame Wohlfahrt und eine nachhaltige Entwicklung» gewährleistet, die «den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes» garantiert, wie die Bundesverfassung (BV) im Art. 2 festschreibt. Die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 2 Abs. 4 und Art. 73 und 74 BV) gehören zu den fundamentalen Zielen der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
Die verursachergerechte und haushaltsneutrale Finanzlösung
Die Ausgleichsleistungen für 18 (vgl. S. XIII) Bündner und Walliser Gemeinden und dieKantone sind umso mehr gerechtfertigt, weil die Bundeskasse durch die Ausgleichsbeiträge von rund 3–4 Mio. Franken pro Jahr überhaupt nicht belastet wird. Im Gegenteil. Indem die Gemeinden die Ausgleichsbeiträge seit 1997 von den reicheren Wasserzinsgemeinden erhalten, sparen Bund und Kantone Subventionen an diese Gemeinden für Lawinenverbauungen, Schulen, den Schutz vor Unwettern, für Kläranlagen, öffentliche Bauten usw. Als fair und gerecht werden diese Ausgleichsleistungen empfunden, weil die Verursacher, d.h. sämtliche Gemeinden in der Schweiz, die von Wasserzinsen profitieren, einen Achtzigstel ihrer Jahreserträge für diese Ausgleichsleistungen zur Erhaltung dieser einmaligen Landschaften zur Verfügung stellen (Art. 48 des eidg. Wasserrechtsgesetzes WRG; vgl. Das Gesetz und seine Folgen in den Kantonen Graubünden und Wallis, Seite 176). In finanzieller Hinsicht handeln somit auch diese Gemeinden beispielhaft. Denn sie tragen dazu bei, daß Flora und Fauna in den Schweizer Alpen für die kommenden Generationen erhalten werden können. In diesem Sinne widmeten die Gemeinden Vrin und Sumvitg 1998 die Greina-Landschaft anlässlich des 150. Geburtstags des Schweizerischen Bundesstaates dem Schweizer Volk. Alle sind herzlich willkommen und eingeladen, diese «neuen» Landschaften von nationaler Bedeutung zu besuchen. Durch einen minimalen Ausgleichsbeitrag ermöglichen alle Schweizer Stromkonsumentinnen und -konsumenten, diese alpinen Juwelen in den Schweizer Alpen für die kommenden 40 Jahre unter Schutz zu stellen und für unsere Nachkommen zu erhalten.
Ausblick
Nachdem einerseits die intensive Nutzung des Landes in einigen Zentren forciert wird, andererseits die Abwanderung in den Bergregionen zunimmt und Arbeitsplätze verschwinden, ist es wichtig, solche Landschaften integral erhalten zu können. Zu den Gebirgslandschaften im Wallis und in Graubünden gehören die Menschen, die in diesen Gebieten leben und deren Existenz auch in Zukunft gesichert sein muss. In diesem Sinn muß eine künftige nachhaltige Entwicklung auf einer solchen Ausgleichsidee basieren. Bei einer allfälligen Realisierung eines Nationalparks Adula/Rheinwaldhorn müssen ebenfalls verursachergerechte Lösungen gesucht werden. Im alpinen Zentrum zwischen den größten Schweizer Nord-Süd-Transitachsen mit gewaltigen Mengen an Emissionen und krebserzeugenden Stoffen wäre es unverhältnismäßig, diese tägliche Luftverschmutzung, verursacht durch Tausende von Lastwagen, ohne Ausgleichsleistungen für kommende Generationen durch das alpine Gebiet fahren zu lassen. Wer die Natur als Emissionsablage- und Entgiftungsraum für seine Geschäftstätigkeit benutzt, muß auch die dafür entstandenen Kosten der Natur zurückvergüten, soll er nicht als Zechpreller gelten.
Grabs/Zürich, April 2004
Quelle: Buch „La Greina und Flusslandschaften im Wallis“, Schweizerische Greina-Stiftung (SGS), Verlag Bündner Monatsblatt / Desertina AG, Chur, 2004